Kriegsgefahr! Die Vorgeschichte des St. Galler Bildersturms

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Einleitung
Kriegsgefahr! Die Vorgeschichte des St. Galler Bildersturms
Altes Archiv, Tr. IX, Nr. 57l.

Am 22. Februar 1529 schrieb der grosse Rat von Zürich einen Brief nach St. Gallen, der für die St. Galler Stadtobrigkeit von grosser Bedeutung war. Die wichtigste Stelle in diesem Brief wurde denn auch von Vadian persönlich durch ein Händchen (auf der linken Seite) gekennzeichnet und unterstrichen. Dieser Abschnitt enthält die von St. Gallen ersehnte Zusage der Zürcher, sie im Fall von entstehenden Unruhen nach der Ausräumung der Bilder aus dem St. Galler Münster zu unterstützen. Denn die Stadtsanktgaller befassten sich schon seit gut einem Monat intensiv mit dem Gedanken einer Bilderentfernung. Die Zeit schien günstig: Der Abt des Klosters St. Gallen, Franz Gaisberg, lag auf Schloss Rorschach im Sterben, der Klosterkonvent (die Mitglieder der klösterlichen Gemeinschaft) war zum grössten Teil nach Wil geflohen, und nur noch wenige äbtische Amtsleute und Mönche harrten im Kloster aus. Die Bilder aus der Stadtkirche St. Laurenzen und auch den anderen Kirchen auf städtischem Gebiet waren bereits entfernt worden, nur noch das Münster verharrte in seiner ursprünglichen Pracht. So bemühte sich die Stadtsanktgaller Obrigkeit um Unterstützung von den mit ihr verbündeten reformierten Städten. Mit Zürich und Bern war St. Gallen seit November 1528 mit einem Burgrechtsvertrag verbunden. In diesem Vertrag sicherten sich die Bündnispartner gegenseitige militärische Hilfe im Falle eines Angriffs der katholischen Orte zu. Um diese Zusage ging es der St. Galler Obrigkeit nun bei ihren Vorbereitungen zur Ausräumung des Münsters. Das Ansinnen der St. Galler war nämlich riskant: Falls die katholischen Schirmorte des Klosters die Stadt nach dem Übergriff auf das Münster angreifen und Zürich und Bern aufgrund ihres Bündnisses militärisch für die Stadt St. Gallen Partei ergreifen würden, drohte ein gesamteidgenössischer Krieg. Dieser Gefahr war sich Zürich sehr wohl bewusst. Denn die Relevanz, die Zürich dem Geschäft beimass, kommt auch durch die Tatsache zum Ausdruck, dass der Brief vom grossen Rat der Stadt stammte. Nur bei sehr wichtigen aussen- und innenpolitischen Angelegenheiten wurde zur breiteren Abstützung der Entscheidung der grosse Rat einberufen und nicht nur der kleine Rat. Es ist deshalb davon auszugehen, dass insgesamt 212 Ratsmitglieder über den Inhalt des Briefes diskutiert und ihn mitunterzeichnet hatten. Der zürcherische grosse Rat lehnte die Ausräumung der Bilder aus dem Münster St. Gallen klar ab. Der Plan erschien offenbar zu heikel. Zudem, so schrieben die Zürcher, sei man nicht alleiniger Schirmort des Klosters. Denn das Kloster St. Gallen hatte deren vier – Zürich, Schwyz, Luzern und Glarus. Schwyz und Luzern zählten zu den altgläubigen Orten. Und momentan wisse man noch nicht, wie sich Glarus im Konfliktfall verhalten würde, schrieb der Zürcher Rat. Glarus hatte sich zu dieser Zeit noch nicht klar zur Reformation bekannt. Deshalb wusste man nicht, auf welche Seite es sich schlagen würde – je nachdem wären also die katholischen Orte in der Überzahl gewesen und hätten entsprechend auf die Bilderentfernung der Stadt St. Gallen im Münster reagieren können. Trotz ihren Vorbehalten sagten die Zürcher den Stadtsanktgallern ihre militärische Unterstützung zu, falls sich die St. Galler Obrigkeit aus eigenem Willen und trotz Abraten der Zürcher dazu entscheiden würde, die Bilder aus dem St. Galler Münster zu entfernen. Auf diese Zusage der Zürcher zur Waffenhilfe hatte man in St. Gallen gewartet. Am folgenden Tag, dem 23. Februar 1529, beschloss der St. Galler Rat, die Bilder aus dem Münster zu entfernen.


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Übung
Kriegsgefahr! Die Vorgeschichte des St. Galler Bildersturms
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Resultat
Kriegsgefahr! Die Vorgeschichte des St. Galler Bildersturms
Die Transkription lautet:
So ver aber
ir fur uch selbs unnd uß üwerem guten Bedunken der Abgetery halb im Münster handlent und
die Gözen ußhin tuond unnd etwas Unraz davon entspringen, wurdint wir das Best darzuo reden
unnd, so es von Nöttenn, uch nach Vermüg uwer unnd unnser uffgerichtenn cristennlichen Mitburger-
schafft mit unserm Lib unnd Guot hilfflich, trostlich unnd rettlich sin.
Erörterung:
Sofern aber ihr für euch selbst beschliesst und aus eurer guten Ansicht [Bedunken] nach gegen die Abgötterei [Abgetery] im Münster handelt und die Götzen herausnehmt [ußhin tuond] und Unruhe daraus entspringt, dann werden wir, so gut wir können, verhandeln [das Best darzuo red] und, falls es nötig sein wird, euch nach Wortlaut [Vermüg] eurer und unserer vereinbarten christlichen Mitbürgerschaft (gemeint ist das reformierte Verteidigungsbündnis, das sogenannte christliche Burgrecht) mit unserem Leib und Gut helfen, trösten und raten.

Die Stadt St. Gallen hatte die Bilderentfernung in der St. Galler Klosterkirche nicht im Alleingang geplant. Im Gegenteil, man hatte sie von langer Hand vorbereitet und suchte die Unterstützung seiner Verbündeten. Bern und Zürich waren seit Anfang Februar vom St. Galler Vorhaben unterrichtet und versuchten die Ostschweizer davon abzubringen. Beide mahnten zur Ruhe und Geduld und rieten St. Gallen anfangs Februar, nichts gegen den Abt und das Kloster zu unternehmen. Gleichzeitig versuchte Zürich eine neue Abtwahl nach dem bald zu erwartenden Tod des kranken Abts Franz Gaisbergs zu verhindern. So hätte das Kloster ganz aufgelöst und ein Rechtsbruch, wie ihn der Bildersturm darstellte, verhindert werden können. Die Gefahr einer Eskalation wäre so vielleicht geringer gewesen. Die St. Galler wurden des Wartens jedoch überdrüssig und sie wollten den Tod des Abtes – der übrigens erst Ende März eintreten sollte – nicht mehr abwarten. Die Stadt begründete ihr Ansinnen gegenüber Zürich und Bern in einem langen Brief, der vor allem die Rechte der Stadtbürger an der Klosterkirche betonte. Sie sei auch die Kirche der Bürger, welche über Jahrhunderte viel Geld in sie investiert hätten und an der sie auch Rechte besassen. Doch diese Argumente konnten Zürich nicht überzeugen. Man riet zur Geduld. Auch Bern versuchte zu beruhigen. Der Berner Rat schrieb an den Abt einen Drohbrief, in dem er implizit vor einer Eskalation warnte, wenn der Abt die Zeremonien und Messen im Münster nicht einschränken und die reformierten Nachbarn weiterhin durch zusätzliche Messen und häufigeres Glockenläuten provozieren würde. Offenbar hatten die beiden Verbündeten der St. Galler Angst vor einer möglichen gesamteidgenössischen kriegerischen Eskalation. So weit kam es allerdings nicht, obwohl sich die Bilderentfernung in einen gewaltsamen Bildersturm gewandelt hatte. Glarus als vierter Schirmort des Klosters St. Gallen stellte sich nämlich auf die Seite der Reformierten, wodurch die Stellung der Schirmorte neutralisiert wurde (Zürich und Glarus auf der reformierten, Luzern und Schwyz auf der katholischen Seite). Am 7. März 1529 feierten die St. Galler den ersten reformierten Gottesdienst im Münster.
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