Prozess gegen eine Spitalinsassin

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Einleitung
Prozess gegen eine Spitalinsassin
Stadtarchiv der Ortsbürgergemeinde St.Gallen, SpA, W, 22 Protokolle der Ausser- und Innermeister 1722-1734, 25. Mai 1725, S. 103.

Verstiess ein Spitalinsasse gegen die Spitalordnung, drohte ihm nicht nur physische Gewalt, sondern auch die Versetzung in eine andere Abteilung des Spitals oder eine andere Fürsorgeanstalt. Die Institution, in die man verlegt wurde, wies in jedem Fall weniger Komfort auf als der vorherige Aufenthaltsort. Als äusserste Strafmassnahme galt die vorübergehende Einweisung in die Anstalt mit den schlechtesten Lebensbedingungen, ins Zuchthaus St. Leonhard.
Das 1661 gegründete Zuchthaus zu St. Leonhard war – wie der Name schon sagt – eine Korrektionsanstalt. Ursprünglich diente es einerseits der Aufnahme von Personen, die nach damaligen Vorstellungen einen liederlichen Lebenswandel führten und aufgrund eines Fehlverhaltens zu einer Haftstrafe verurteilt worden waren. Andererseits kamen im Zuchthaus Kinder unter, die verwaist waren oder dem negativen Einfluss ihrer Eltern entzogen werden sollten.


Hinweise zur Transkription
Distinktionszeichen werden in der Transkription weggelassen. Passen Sie i und j dem heutigem Gebrauch an (z.B. «ist» statt «jst»). Zeitgenössische Worttrennungen (in der Regel durch Doppelpunkte angezeigt) werden in der Transkription mit Bindestrichen dargestellt. Lösen Sie Kürzungen (z.B. n-Kürzungen) auf. Beachten Sie, dass bei Wörtern, welche auf -en enden, bisweilen ein vom Endbuchstaben abwärts geführter Bogen oder Haken angehängt wird (z.B. bei «declarieren»). Nutzen Sie bei Unsicherheiten die Tipps.


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Die Transkription lautet:
Anna Tannerin, mannentöderin, beklagten
dem 2. ten theil.
Ist auf angehörte klag undt der beklagten gethane
demüthige abbitt erkennt, daß die Tannerin ihre
wieder die kläger ausgegoßene leichtfertige reden
undt gottlose scheltworth wieder in ihren schlund
zurückhnemmen, die kläger nachmahlen umb ver-
zeihung bitten undt declarieren solle, daß sie ihre
in verwahr gehabte mittel als ehrenleüthe besorget,
auch sie auf dieselben anders nichts als alles ehr-
liebs undt guts wiße.
Erörterung:
Die «mannentöderin» genannte Anna Tannerin – über die aufgrund der Häufigkeit ihres Namens leider keine gesicherten Informationen vorliegen – wurde im Rahmen eines so genannten Injurienprozesses angeklagt, weil sie zwei Herren, die offenbar als Vögte (Vormünder) ihr Vermögen bzw. ihr Hab und Gut verwalteten, mit übler Nachrede geschadet hatte. Die Spitalleitung hatte im Fall der Anna Tanner entschieden, dass sie sich bei den Klägern für die Verfluchungen und Verleumdungen entschuldigen musste. Ferner sollte sie zur Strafe mit dem Rinderling ausgepeitscht werden. Aus Gnade der Spitalleitung wurde Anna Tanner vor der direkten Einweisung ins Zuchthaus verschont.
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Die Transkription lautet:
So dann sie zu fernerer
wolverdienter straff für diesmahl auß gnaden
mit dem rinderling abgepeitschet undt, woferne
sie im geringsten mit worth oder wercken zu
klägten anlaß gebe, sie ohne anders für beständig
in das zuchthauß versorget werden solle.
Erörterung:
Die Unterbringung der Spitalinsassen in der Korrektionsabteilung des Zuchthauses war für diese äusserst unangenehm. Es war üblich, dass sich zwei Personen gleichen Geschlechts ein Bett teilen mussten. Die Praxis der Doppelbelegung bot dem Zuchtmeister Möglichkeiten, die Insassen zu schikanieren, beispielsweise indem er zwei Menschen dieselbe Schlafstelle zuwies, die sich nicht leiden konnten. Es sind Fälle bekannt, in denen Insassinnen gezwungen wurden, das Bett mit jemandem zu teilen, der voller Läuse war oder an einer ansteckenden Krankheit litt. Auch über das angeordnete Strafmass hinausgehende Gewalttätigkeiten gegenüber Zuchthausinsassen waren an der Tagesordnung und zielten darauf ab, die Insassen zusätzlich zu demütigen.

Erklärungen
rinderling: Ochsenziemer; aus gedehnter und schraubenförmig verdrehter Haut eines Bullenpenis hergestellte Peitsche
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