Rechnung des Prestenamts in einem Pestjahr

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Einleitung
Rechnung des Prestenamts in einem Pestjahr
Stadtarchiv der Ortsbürgergemeinde St.Gallen, AeA, VI, 4 Ausgaben und Einnahmen über die leidige Krankheit (1629-1632), 1629.

St.Gallen wurde im Mittelalter und in der Frühen Neuzeit wiederholt von der Pest heimgesucht, so auch im Jahr 1629.
Mithilfe der Angaben in den Sterbebüchern lassen sich die Dimensionen dieses Pestzuges veranschaulichen. Während in den Monaten März, April und Mai jeweils weniger als 100 Sterbefälle verzeichnet sind, stieg die Zahl der Toten im Juni bereits auf über 100 Menschen an. Im Juli sind rund 400 Todesfälle verzeichnet, im August und September jeweils fast 600 Todesfälle, danach ging die hohe Sterblichkeit zurück. Die Pest wütete in den warmen Sommermonaten am stärksten, denn die seuchenverbreitenden Flöhe benötigten eine relativ hohe Luftfeuchtigkeit und eine dementsprechende Lufttemperatur.
Insgesamt wurden für das Jahr 1629 1420 Pesttote in der Stadt St.Gallen gezählt, was rund einem Drittel der Gesamtbevölkerung entsprach. Zum Vergleich: 1628 waren im ganzen Jahr 206 Stadtbewohnerinnen und -bewohner verstorben, 1630 waren es 138 Tote.


Hinweise zur Transkription
Transkribieren Sie u/v nach dem Lautwert. Distinktionszeichen werden in der Transkription weggelassen. Passen Sie i und j dem heutigem Gebrauch an. Zeitgenössische Worttrennungen werden in der Transkription mit Bindestrichen dargestellt. Unterscheiden Sie Worttrennungen von denjenigen Zeichen, die der Schreiber am Ende jeder Zeile setzt. Lösen Sie en- oder r-Kürzungen auf, nicht aber abgekürzte Währungen wie fl oder kr.
Beachten Sie, dass bei Wörtern, welche auf -en enden, ein vom Endbuchstaben abwärts geführter Bogen oder Haken angehängt wird (z.B. bei «frawen»). Nutzen Sie bei Unsicherheiten die Tipps.


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Resultat
Rechnung des Prestenamts in einem Pestjahr
Die Transkription lautet:
Außgeben 1629 fl kr hl
Item folgt wz ich für arme leüt, so im prästen-
hauß, seelhauß und anderstwo gestorben, außgeben
hab fur wacher, einneyer, austrager, graber-
und leüterlon.
Ad. 29 dito zalt für ein armß meitli, so im presten-
huß gestorben, wacher, einneyer, außtreger und graberlon 1 36
Ad. 4 september zalt für ein arms maitle, so die doten-
trager auff der straß geholet 1 9
Ad. 4 dito zalt für ein arm frawen, so in deß Schaitlis
ackher oben gestorben 2 12
Erörterung:
Sobald der Ausbruch der Pest festgestellt wurde, reagierte die Obrigkeit der Stadt St.Gallen mit Massnahmen gegen eine weitere Verbreitung der Seuche. Der städtische Rat ordnete die frühzeitige Isolierung der Pestkranken und die Verhinderung grösserer Menschenansammlungen an. An der Pest erkrankte Menschen mussten entweder in ihren Häusern bleiben oder wurden im Prestenhaus untergebracht. Für die Versorgung der daheim gebliebenen Pestkranken mit Nahrungsmitteln waren die «Fürtrager» verantwortlich. Sie gingen mehrmals pro Tag bei den Häusern der Kranken vorbei und füllten vor die Haustüre gestelltes Geschirr mit Esswaren und Getränken.


Erklärungen
ad: lateinisch für «auf» (z. B. auf den 4. September)
dito: gleichfalls, ebenso, im Sinne von «wie weiter oben im Text genannt»
wacher: Wächter; Bedeutung in diesem Zusammenhang unklar
einneyer: Einnäher; Person, welche einen Leichnam zur Beerdigung in Tücher einnähte
außtreger: Begriff unklar; evtl. Bezeichnung für die Person, welche einen Leichnam zur Bestattung transportierte
graberlon: Lohn des Totengräbers
fl: Abkürzung für Gulden, florenus
kr: Abkürzung für Kreuzer
hl: Abkürzung für Heller
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Die Transkription lautet:
Ad. 4 dito zalt leüterlon für 4 armne 32
Ad. 11 september ein armen mann hindersaß unnd ein arme
fraw auff der straß, außtrager und graberlon 4 24
Ad. 18 dito zalt für ein zainenmacher von Herisouw und
ein handtwercks gsell von Zürich im prestenhuß gestorben,
thut allen uncosten 6 12
Ad. 18 dito ein armß meitle auß der blaicher hütten
geholet, außtrager und graberlon 1 12
Ad. 18 dito zalt für dise 3 obstenden personen leüterlon 28.
Erörterung:
Um zu verhindern, dass sich Gesunde und Kranke auf den Gassen begegneten, durften die Pestkranken Tätigkeiten ausser Haus wie Wasser holen oder Wäsche waschen nur frühmorgens, bevor die Glocke das Zeichen zum Öffnen der Stadttore gab, oder abends, wenn niemand mehr unterwegs war, besorgen.
Den Pestkranken wurden zudem bisweilen für die Messe andere Kirchen zugewiesen als den Gesunden. War dies nicht der Fall, dann mussten die Pestkranken, damit ein Zusammentreffen von Gesunden und Kranken verhindert wurde, vor dem Einläuten in der Kirche sein. Nach dem Gottesdienst durften sie die Kirche erst verlassen, als die gesunde Bevölkerung wieder in ihre Häuser zurückgekehrt war.

Erklärungen
dotentrager: Totenträger; Person, welche einen Leichnam zur Kirche/Bestattung transportierte
leüterlon: Lohn der Person, welche den Tod eines Einwohners per Glockengeläut bekannt machte
hindersaß: Hintersässe, Einwohner mit Aufenthalts-, aber ohne Bürgerrecht
zainenmacher: Korbmacher; Korbflechter
Herisouw: Herisau, Appenzell Ausserrhoden, ehem. Bezirk Vorderland
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