Signalement der «letzten Hexe» Anna Göldin
Anna Göldin, die Hauptfigur des gleichnamigen historischen Romans von Eveline Hasler, war die letzte Frau, die man in Europa – im Zeitalter der Aufklärung, zu einem Zeitpunkt, als Voltaire und Rousseau bereits gestorben waren – als Hexe hinrichtete. Unter diesen Umständen ist es nicht weiter verwunderlich, dass der Fall damals grosses Aufsehen erregte. Im Deutschen Reich betitelte man die Hinrichtung als «Justizmord»; die «Göttingischen Anzeigen von gelehrten Sachen» fanden es unbegreiflich, dass «in einem Lande, dessen Bewohner sich […] durch ihre Aufklärung und häufigen Verbindungen mit Auswärtigem auszeichnen […]», eine Frau für ihre angebliche Zauberei hingerichtet worden war. Auch zahlreiche Schweizer Obrigkeiten wandten sich in Briefen an die Glarner Behörden mit der Warnung, sie liessen sich im Falle einer Hinrichtung von Aberglauben leiten.
Die Glarner Obrigkeit liess sich jedoch von ihrem Vorhaben nicht abbringen, schliesslich hatte Anna Göldin nach ihrer Verhaftung unter der Folter zahlreiche Taten «gestanden». So soll sie die Tochter ihres Dienstherrn Tschudi, Arzt und Fünferrichter, «verderbt» haben: Sie habe ihr nämlich mit dem Essen «Nagelsamen» zugeführt, so dass das Kind über Wochen hinweg Stecknadeln, Eisendrähte und Nägel erbrochen hätte.
Beachte die allgemeine Kleinschreibung. Lasse Distinktionszeichen über dem u weg.
Anna Göldin, aus der gemeinde Sennwald der
landtvogthey Hochen Sax und Forsteck zugehörig, Zürchergebiets,
ohngefähr 40 jahr alt, dicker und großer leibs statur, vollkomme-
nen und rothbrächen angesicht, schwarzer haaren und augbra-
men, hat graue etwas ungesunde augen, welche meistens
rothlecht aussehen.
Die Stadt St.Gallen erhielt von der Ratskanzlei Glarus ein Signalement, also einen Brief mit der Personenbeschreibung Anna Göldins. Durch die Versendung dieses Signalements sollte die Ergreifung Anna Göldins, die sich zum Zeitpunkt dieses Schreibens auf der Flucht befand, ermöglicht werden. Anna Göldin war Bürgerin der Rheintaler Gemeinde Sennwald, welche zur Landvogtei Hohensax-Forstegg und damit zum Stand Zürich gehörte.
Erklärungen
rothbrächen = in roter Farbe glänzend, rötlich
augbramen = Augenbrauen
rothlecht = rötlich
Ihr anschauen ist niedergeschlagen und
redet ihre Sennwälder aussprach, trägt eine modenfarbe juppen,
eine blaue und eine gestrichlete schoß, darunter eine blaue
schlingen oder schnäbelj gestalt, ein damastenen grauen tschopen,
weis castorin strümpf, eine schwarze kappen, darunter
ein weißes haüblj, ein schwarzes seiden bätlj und schwarze
leder schuhe, darinn silberne rincken.
Die Nennung ihres Sennwalder Herkommens bzw. des dortigen Dialekts sollte zur Identifikation beitragen. Weiter erhält man durch die ausführliche Beschreibung ihrer Kleidung einen Einblick in die damalige Mode.
Erklärungen
anschauen = Aussehen
modenfarbe = von modischer Farbe
juppe = Jupe, Rock
gestrichlet = gestreift, mit Strichen versehen
schlinge = Schärpe, Halstuch
schnäbelj gestalt = spitz zulaufendes Mieder
damasten = aus Damast (feines Jacquardgewebe ursprünglich aus Seide, später auch aus Baumwolle oder Leinen)
tschopen = Jacke
weis = weiss
castorin = weiches, langhaariges Tuch aus bestem Wollstreichgarn
kappe = Mütze
haüblj = Haube
bätlj = Tüchlein
rincke = Schnalle