Speiseordnung
Ein frühneuzeitliches Spital beherbergte nebst Kranken auch Waisenkinder und Pfründner. Pfründner waren meist ältere Menschen, die unentgeltlich oder gegen Bezahlung Aufnahme im Spital fanden und dort bis an ihr Lebensende versorgt wurden. Der Preis für eine Pfründe hing vom Alter und den Ansprüchen der Käufer ab und konnte bar und/oder in Form von Hausrat, Häusern, Gütern, Renten oder z.T. auch Arbeitsleistungen bezahlt werden.
Im Heiliggeist-Spital St.Gallen gab es drei unterschiedliche Pfrundkategorien. Mittellose erhielten unentgeltlich eine so genannte Siechenpfrund, abgeleitet vom mittelalterlichen Wort «siech» (krank). Ihre Verpflegung bestand zur Hauptsache aus Getreidebrei, war vitaminarm und führte noch im 18. Jahrhundert zu mangelbedingten Krankheiten. In der so genannten Mittelpfrund war die Verpflegung etwas besser, dafür musste jedoch eine Abgabe entrichtet werden. Am besten wurden die Herrenpfründner verpflegt. Ihr Essen war angereichert mit Fleisch und Fisch, inbegriffen war täglich ein gewisses Quantum Wein. Einzig an den kirchlichen Feiertagen hatten alle Pfründner Aussicht auf abwechslungsreichere Verpflegung, wie die Speiseordnung von 1667 zeigt.
Nebst unterschiedlicher Verpflegung genossen die einzelnen Pfrundkategorien auch unterschiedlichen Komfort. Die Siechen- und die Mittelpfründner schliefen in Sälen oder Zimmern mit mehreren Personen, Herrenpfründner erhielten eigene Gemächer.
Erstlich auff den heiligen wienächt tag sulzen durch
das gantz hauß. Item auff den neüwen
jahrs tag gebrattens durch das gantz hauß.
Item in dem meyen fisch durch das gantz hauß,
jedoch knecht und mägt und der strigel tisch außge-
schlossen. Item in dem meyen soll man iedem
zwey mahl luggmilch geben und 1/4 lb neüw schmalz
durch das gantz hauß, iedoch knecht und mägt und
der strigel tisch außgeschlossen. Item auff Jacobi
soll durch das gantz hauß, verstehe die pfrüender,
iedem ein büschele knobloch oder 3 pfening darfür,
welches man am besten gehaben mag, geben werden.
Das ganze Haus bzw. alle Pfründnerinnen und Pfründner sowie die Angestellten sollten an Weihnachten Sülze und an Neujahr Gebratenes erhalten. Im Mai standen ihnen Fisch, Schmalz und Nidel zu, von dem jedoch die niederen Beamten, welche am «strigel tisch» sassen, ausgenommen waren. Auf Jacobi sollten alle Pfründner Knoblauch bekommen. War dieser nicht verfügbar, sollten ihnen drei Pfennige überreicht werden.
Erklärungen
durch das gantz hauß = für alle im Spital
gebrattens = Gebratenes
strigeltisch = Tisch, an dem die niederen Beamten sitzen
pfrüender = Pfründner, von Pfründe = Pension
luggmilch = Nidel, Festspeise
lb = libra/Pfund
Jacobi = 25. Juli
büschele knobloch = «Büschel» Knoblauch
Item zu herbst zeit soll man iedem pfrüender
3 trauben geben oder darfür 3 pfening.
Item auff den heiligen tag zu osteren und pfingsten
den gedingten diensten bratens. Item auff
den oster und pfingstag den mitelpfrüenderen, so man
es haben kan, zu nacht bratens. Item über
die osteren, pfingsten und wiehnächt ieden den
siechen drey tag und den knechten zwen tag, wer
kein wein hat, iedem ein halb maß.
Deßgleichen wan das bader jahr ist im spital, soll
man zwo wochen lang und iede wochen fünff tag
baden, und wer also badet, denen solle man alle morgen auff den zuber 1/4 wein geben.
Im Herbst erhielten alle Pfründnerinnen und Pfründner Trauben oder anstelle davon drei Pfennige. An Ostern oder Pfingsten sollten die «gedingten diensten», also die Angestellten, Braten erhalten; den Mittelpfründnern stand – sofern verfügbar – Braten zum Abendessen zu. Alle Siechenpfründner sollten an Ostern, Pfingsten und Weihnachten während drei Tagen je ein halbes Mass Wein bekommen, den Knechten, welche keinen Wein besassen, stand zur selben Zeit während zwei Tagen ein halbes Mass (ca. 6 dl.) Wein zu. Im «Bader-Jahr» sollten alle Pfründner zwei Wochen lang an fünf Tagen baden und an diesen Tagen pro Zuber einen Viertel Wein erhalten.
Erklärungen
gedingte dienste = Angestellte
mittelpfrüendern = Mittelpfründner, im Gegensatz zu den Herren- oder Siechenpfründnern
sieche = Kranke
bader = Bader, Balbierer, Personen, die mit dem Baden verbundene Pflege- und Heiltechniken erlernten, wie z.B. Pflaster auflegen, Aderlass u.ä.
1/4 wein = ein Viertel Mass Wein, ca. 3 dl.