Privaturkunde

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Einleitung
Privaturkunde
Das St. Galler Heiliggeist-Spital erhält Besitz in Wilen bei Bischofszell:
Stadtarchiv St. Gallen, SpA, Tr. D, 28, No. 1.

Im 12. und 13. Jahrhundert nahm in ganz Mitteleuropa die Bevölkerung zu. Insbesondere die Städte wuchsen und gewannen dadurch an wirtschaftlicher und politischer Bedeutung. Die Kehrseite dieses Wachstums waren zunehmende soziale Belastungen. Deren Linderung dienten die in vielen Städten im 13. Jahrhundert geschaffenen bürgerlichen Spitäler.


Im Jahre 1228 gründeten der St. Galler Bürger Ulrich Blarer und der Truchsess Ulrich von Singenberg das Heiliggeist-Spital St. Gallen. Zur anfänglichen Ausstattung gehörte ein Haus am Markt, also an zentraler Lage. Im Laufe der Jahrzehnte kam durch Schenkungen, Ankäufe und Erbschaften weiterer Besitz dazu. Mitte des 15. Jahrhunderts bestand das städtische Spital aus einem ganzen Häuserkomplex, in welchem schätzungsweise bis zu 200 Menschen – Arme, Alte, psychisch und physisch Kranke, Wöchnerinnen und Waisen – untergebracht waren.


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Die Transkription lautet:
In dem namen unsers herren. So si kunt allen den, die disen brief horren lesen, daz fro R.
hern Ludiwiges frouwe von Brashberg hat gegeben und iriu chint mit ir wirtes gunst hern
Ludewiges iro eigen, daz da heizet ze dem Willer ime Riet, an den spital ze sante Gallen dem
Heiligen Geiste, unde swenne diz selbe guot ze bouwe wirt braht, so sol der spital dirre vor ge-
nander frouwen alle iaerlichen geben zehen schillinge Costenzerre phennigge unz an ir tot, ob
sis nemen wil, und swenne si irstirbet, so sint dem spitale die phennigge ledich.
Erörterung:
Im Gegensatz zu öffentlichen Spitälern unserer Zeit basierte der Betrieb vollständig auf selber erwirtschafteten Mitteln. Die wirtschaftliche Grundlage bildete – wie beim Kloster – der Güterbesitz, der zu einem grossen Teil durch Schenkungen oder Stiftungen ans Spital gelangte. Diesen im näheren und weiteren Umland liegenden Grundbesitz liess das Spital durch die dort ansässigen Bauern bewirtschaften; die Natural- und Geldzinsen daraus waren die wichtigste Einnahmequelle.

Der wirtschaftliche Einzugsbereich des Heiliggeist-Spitals St. Gallen reichte vom Thurgau über das St. Galler Rheintal an den Alpstein bis ins Toggenburg. Besonders gewinnbringend war im Übergang vom Mittelalter in die Neuzeit der Weinbau; hinzu kam der Handel mit Schlachtvieh. Neben dem Kloster St. Gallen war das St. Galler Spital die grösste Herrschaft über Land und Leute in der Region.

Erklärungen:
fro R. = Frau Richenza
wirt = Ehemann
ze bouwe wirt braht = bebaut wird
unz = bis
ledich = ledig, frei
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Die Transkription lautet:
Diz geschach
in der stat ze Wangen, do man zalte von unsers herren geburtlichem tage tusent iare unde
zeweihundert iare unde sibench iare unde in dem sibendem iare. Disses sint gezuge herre
Iohannes Ougeli an dem margte und her Egelolf der Munser und her Jacob und her Henrich
die Blarrer. An disen brief so hat gehenchet diu frowe von Brashberg ir insigel unde ir wirts
hern Ludewiges und ir sun her Swiger der Tumbe sin insigel ze eime gezuge und ze einer staete
iemer me amen.
Erörterung:
Richenza, die Gemahlin Ludwigs von Prassberg (abgegangene Burg nordwestlich von Wangen im Allgäu), schenkte 1277 dem städtischen Spital in St. Gallen Besitz in Wilen in der Gemeinde Sitterdorf bei Bischofszell. Sollte das Gut bebaut werden, hatte die Schenkerin Anspruch auf eine jährlich vom Spital zu zahlende Abgabe in der Höhe von 10 Schilling. Mit dem Tod der Donatorin erlosch diese Zinspflicht.

Die Urkunde fällt auf durch die Linierung und die für eine Urkunde eher ungewöhnliche Schrift. Obschon drei Siegler angekündigt und drei Schnitte im Pergament für die Siegelstreifen gezogen sind, hängen nur zwei Siegel an der Urkunde, und zwar jenes von Swigger Tumb von Neuburg (Vorarlberg), dem Sohn aus erster Ehe der Richenza, sowie jenes des Ritters Ludwig von Prassberg, ihres zweiten Ehemanns.

Erklärungen:
margt = Markt
insigel = Siegel
gezuge = Zeuge
staete = Bestätigung, Sicherheit
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